Fragile Freiheit

► Die Corona-Krise stellt derzeit die Frage der Freiheit. Ein Thema, das im Mittelpunkt eines Interviews stand, das ich für das Magazin Go4More führte und das 2017 in Form des folgenden Artikels publiziert wurde. ◄

Fragile Freiheit

Vor dem Hintergrund „100 Jahre Oktoberrevolution“ erinnert die ehemalige DDR-Bürgerin Karin Sorger an den Wert der Freiheit.

„Im Rahmen der politisch-operativen Sicherung der Transitwege wurde am 06.02.1977 Dr. Sorger, Karin, tätig als Ärztin im Pathologischen Institut der Karl-Marx-Universität Leipzig, auf Grund verdächtiger Verhaltensweisen vorläufig festgenommen. Es besteht der begründete Verdacht der Vorbereitung einer Straftat gem. § 213 StgB.“

Ein Auszug aus der Stasi-Akte Karin Sorgers, die in ihrer Autobiografie „Das Geheimnis des Glücks ist die Freiheit“ zu finden ist. Der Bericht dokumentiert eine unrühmliche Vergangenheit der DDR. Als Zeitzeugin hat es sich Karin Sorger, die später lange Jahre in Göppingen als Chefärztin verbrachte und nun in Baden-Baden lebt, zur Aufgabe gemacht, an diese Epoche zu erinnern: zu erinnern, wie fragil die Freiheit sein kann – und sich bewusst zu machen, wie wertvoll sie ist und wie wenig selbstverständlich.

Das Erlebnis der Unfreiheit

§ 213, der im Bericht des DDR-Majors Reinicke angeführt wird, behandelt den „ungesetzlichen Grenzübertritt“, eine strafbare Handlung, für die in schweren Fällen eine Strafe von ein bis acht Jahren Freiheitsentzug vorgesehen war. Karin Sorger musste nach ihrer Verhaftung zehn Monate im berüchtigten Frauenzuchthaus Hoheneck verbringen. Ein Gefängnis, in dem Politische wie Kriminelle saßen, darunter auch ehemalige KZ-Aufseherinnen. „Ich habe in den zehn Monaten mehr gelernt als ich in zehn Jahren aus Büchern hätte lernen können“, blickt Karin Sorger auf ihre Haft zurück. Es ist erstaunlich und sehr charakteristisch für die 78-jährige, dass sie sogar einem harten Schicksalsschlag noch etwas Positives abgewinnen kann. Karin Sorger war zum Zeitpunkt der Festnahme 37 Jahre – und hatte tatsächlich ihre Flucht geplant. Bei der Suche der Stelle, an der sie mit ihrer kleinen Tochter später in ein Schleuserfahrzeug zusteigen wollte, wurde sie erwischt. Die Inhaftierung war sicher die massivste Form staatlicher Repression, die Karin Sorger in ihrer DDR-Zeit erleben musste. Doch Erlebnisse der Unfreiheit lassen sich viele auf dem Faden ihres Lebens aufreihen.


©Christian Liederer. Erschienen im Magazin Go for More. Dieser Beitrag darf gerne geteilt, Texte zitiert werden. Das Urheberrecht und geistige Eigentum sind durch den Verweis auf die Quelle zu beachten.