Das Scheitern der Kommunikation bei Kafka

Buch von Franz Kafka

Seit Paul Watzlawick wissen wir: Wir können nicht nicht kommunizieren. Auch wer schweigt, sendet damit ein Signal. Gut, im Groben wussten wir das vielleicht schon vorher, oder fühlten es unbewusst schon immer – die verbale kalte Schulter, den Affront der Ignoranz, das Naserümpfen und Augenverdrehen. Doch Watzlawick hat es in einen pointierten Aphorismus gepackt. Gelingende Kommunikation, die dem Empfänger audiologische, visuelle, geistige und sonstige Botschaften so überträgt, wie es der Sender wollte, ist dagegen eine Kunst.

  • Wie erreiche ich meinen Adressaten?
  • Wie sende ich meine Botschaft?
  • Wie verpacke ich sie?
  • Auf welchen Wegen schicke ich sie?
  • Wie kommt sie beim Anderen an?

Kurz: Wie gelingt das Zusammenspiel von Sender, Medium, Weg und Empfänger? Das sind nicht nur zentrale Fragen im Marketing, sondern generelle anthropologische. Und damit auch literarische, wie ich neulich bei der Lektüre von Franz Kafkas Romans „Das Schloss“ wieder bemerkte. Unvergleichlich Beklemmendes mit Komischem verbindend führt uns der Prager Autor vor, wie schwierig Kommunikation sein kann, zumal wenn man es gezielt auf Schwierigkeiten anlegt.

Ein Beispiel gibt das Kapitel 10 in seinem Roman. Die grobe Handlung: Der vom Schloss (anonyme Institution der Macht, Sender) bestellte Landvermesser K. (Individuum) versucht ins Schloss zu gelangen bzw. mit ihm in Kontakt zu kommen. Doch mehr als die Verbindung zu Barnabas, der Bote des hohen Schlossbeamten Klamm, gelingt zunächst nicht.

Betrachten wir nachfolgend einen längeren Textabschnitt, der uns symbolisch zeigt, wie Kommunikation misslingt. Dabei spielen viele Elemente wie Sender, Bote und Situation eine Rolle, die sich synergetisch ergänzen – negativ synergetisch.

Kafka: „Das Schloß“ (Das zehnte Kapitel)

[173] Auf die wild umwehte Freitreppe trat K. hinaus und blickte in die Finsternis. Ein böses, böses Wetter. […] Kaum hatte er ein paar Schritte auf der Landstraße gemacht, als er in der Ferne zwei schwankende Lichter sah; […] Aber es waren nicht nur die Gehilfen, aus dem Dunkel zwischen ihnen trat Barnabas hervor. »Barnabas!« rief K. und[173] streckte ihm die Hand entgegen. »Kommst du zu mir?« Die Überraschung des Wiedersehens machte zunächst allen Ärger vergessen, den Barnabas K. einmal verursacht hatte. »Zu dir«, sagte Barnabas unverändert freundlich wie einst. »Mit einem Brief von Klamm.« – »Ein Brief von Klamm!« sagte K., den Kopf zurückwerfend, und nahm ihn eilig aus des Barnabas Hand. »Leuchtet!« sagte er zu den Gehilfen, die sich rechts und links eng an ihn drückten und die Laternen hoben. K. mußte den großen Briefbogen zum Lesen ganz klein zusammenfalten, um ihn vor dem Wind zu schützen. Dann las er:

»Dem Herrn Landvermesser im Brückenhof! Die Landvermesserarbeiten, die Sie bisher ausgeführt haben, finden meine Anerkennung. Auch die Arbeiten der Gehilfen sind lobenswert, Sie wissen sie gut zur Arbeit anzuhalten. Lassen Sie nicht nach in Ihrem Eifer! Führen Sie die Arbeiten zu einem guten Ende. Eine Unterbrechung würde mich erbittern. Im übrigen seien Sie getrost, die Entlohnungsfrage wird nächstens entschieden werden. Ich behalte Sie im Auge.«

K. sah vom Brief erst auf, als die viel langsamer als er lesenden Gehilfen zur Feier der guten Nachrichten dreimal laut »Hurra!« riefen und die Laternen schwenkten. »Seid ruhig«, sagte er und zu Barnabas: »Es ist ein Mißverständnis.« Barnabas verstand ihn nicht. »Es ist ein Mißverständnis«, wiederholte K., […]  und die Gehilfen drückten sich noch immer an ihn, so daß er sie mit dem Ellenbogen [174] wegstieß; wie hatte Frieda sie ihm entgegenschicken können, da er doch befohlen hatte, sie sollten bei ihr bleiben. […] Nun hatte überdies der eine ein Tuch um den Hals geschlungen, dessen freie Enden im Wind flatterten und einigemal gegen das Gesicht K.s geschlagen hatten, der andere Gehilfe hatte allerdings immer gleich das Tuch von K.s Gesicht mit seinen langen, spitzen, immerfort spielenden Fingern weggenommen, damit aber die Sache nicht besser gemacht. Beide schienen sogar an dem Hin und Her Gefallen gefunden zu haben, wie sie überhaupt der Wind und die Unruhe der Nacht begeisterte. »Fort!« schrie K. […] »Barnabas«, sagte K., und es legte sich ihm schwer aufs Herz, daß ihn Barnabas sichtlich nicht verstand, daß in ruhigen Zeiten seine Jacke schön glänzte, wenn es aber Ernst wurde, keine Hilfe, nur stummer Widerstand zu finden war, Widerstand, gegen den man nicht ankämpfen konnte, denn er selbst war wehrlos […]. »Sieh, was mir der Herr schreibt«, sagte K. und hielt ihm den Brief vors Gesicht. »Der Herr ist falsch unterrichtet.[175] Ich mache doch keine Vermesserarbeit, und was die Gehilfen wert sind, siehst du selbst. Und die Arbeit, die ich nicht mache, kann ich freilich auch nicht unterbrechen, nicht einmal die Erbitterung des Herrn kann ich erregen, wie sollte ich seine Anerkennung verdienen! Und getrost kann ich niemals sein.« – »Ich werde es ausrichten«, sagte Barnabas, der die ganze Zeit über am Brief vorbeigesehen hatte, den er allerdings auch gar nicht hätte lesen können, denn er hatte ihn dicht vor dem Gesicht. »Ach«, sagte K., »du versprichst mir, daß du es ausrichten wirst, aber kann ich dir denn wirklich glauben? So sehr brauche ich einen vertrauenswürdigen Boten, jetzt mehr als jemals.« K. biß in die Lippen vor Ungeduld. »Herr«, sagte Barnabas mit einer weichen Neigung des Halses – fast hätte K. sich wieder von ihr verführen lassen, Barnabas zu glauben –, »ich werde es gewiß ausrichten; auch was du mir letzthin aufgetragen hast, werde ich gewiß ausrichten.« – »Wie!« rief K. »Hast du denn das noch nicht ausgerichtet? Warst du denn nicht am nächsten Tag im Schloß?« – »Nein«, sagte Barnabas. »Mein guter Vater ist alt, du hast ihn ja gesehen, und es war gerade viel Arbeit da, ich mußte ihm helfen, aber nun werde ich bald wieder einmal ins Schloß gehen.« – »Aber was tust du denn, unbegreiflicher Mensch!« rief K. und schlug sich an die Stirn. »Gehen denn nicht Klamms Sachen allen anderen vor? Du hast das hohe Amt eines Boten und verwaltest es so schmählich? Wen kümmert die Arbeit deines Vaters? Klamm wartet auf die Nachrichten, und du, statt im Lauf dich zu [176] überschlagen, ziehst es vor, den Mist aus dem Stall zu führen.« – »Mein Vater ist Schuster«, sagte Barnabas unbeirrt, […]
»[…] Und was kümmert mich diese ganze Schusterei; eine Botschaft habe ich dir anvertraut, nicht damit du sie auf der Schusterbank vergißt und verwirrst, sondern damit du sie gleich hinträgst zum Herrn.« […] es ist sehr schlimm für mich, nur einen solchen Boten zu haben für die wichtigsten Dinge.«
»Sieh«, sagte Barnabas, […] »Klamm wartet doch nicht auf die Nachrichten, er ist sogar ärgerlich, wenn ich komme. ›Wieder neue Nachrichten‹, sagte er einmal, und meistens steht er auf, wenn[177] er mich von der Ferne kommen sieht, geht ins Nebenzimmer und empfängt mich nicht. Es ist auch nicht bestimmt, daß ich gleich mit jeder Botschaft kommen soll, wäre es bestimmt, käme ich natürlich gleich, aber es ist nichts darüber bestimmt, und wenn ich niemals käme, würde ich nicht darum gemahnt werden […].«

Content ist Nonsens

Es ist beim Lesen beinahe unerträglich, dieses Misslingen der Kommunikation auszuhalten, zumal der ganze Roman von vielen hundert Seiten dieses Gefühl des Unbehagens aufgrund ungelöster Spannungen permanent produziert und provoziert. Eigentlich unlesbar für alle Profis in der Kommunikationsbranche.

Nehmen wir die Elemente des kommunikativen Scheiterns unter die Lupe, um die Qual durch die Katharsis der Analyse zu schicken:

Die Situation: Sie könnte kaum schlimmer sein. Nacht, Dunkelheit, Sturm. Die Botschaft muss kleingefaltet werden, dass sie nicht wegfliegt. Beim Lesen wird K. von seinen Helfern zudem noch behindert.

Der Bote: arnabas erweist sich als unfähig, taucht nur bisweilen auf. K. kann ihn nicht selbst kontaktieren. Zudem ist er unzuverlässig. Eine ältere Botschaft von K. an den Schlossbeamten Klamm hat der Tölpel bisher nicht ausgerichtet. Als Sendekanal für die Botschaften K.s ist er im Grund kaum zu gebrauchen. Leider hat K. keine Alternativen.

Der Sender: Klamm als Repräsentant des Schlosses ist der Repräsentant der Macht. Die Botschaft, die K. erhält, zeigt in jedem Satz das enorme Hierarchiegefälle zwischen dem Schloss und K. – der Macht und dem Individuum – auf. Klamm ist bewertend, oberlehrerhaft und das „Ich behalte Sie im Auge“ am Schluss durchaus bedrohlich.

Die Einseitigkeit: Der Sender Klamm bleibt auch Sender, dem Empfang von Botschaften entzieht er sich, wie es ihm beliebt. Er bestimmt die Regeln. Die Regeln einer im Grunde einseitigen Kommunikation.

Der Inhalt: Der Content der Botschaft Klamms ist im Grunde Nonsens. „Ein Mißverständnis“, wie K. aufklärt und erläutert. Der Sender schreibt ohne rechten Bezug zu K. und an der Sache vorbei.

Fazit: Ein echter Dialog, ein Austausch auf Augenhöhe, im direkten Kontakt ist durch all diese Faktoren verhindert. Die einseitige Botschaft Klamms erscheint als Machtdemonstration einer abstrakten, fernen Institution, die sich einem echten Austausch entzieht und sich nicht um den Empfänger schert. – In schönerer Symbolik kann man misslingende Kommunikation kaum vermitteln.


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Quelle:Exzerpt von http://www.zeno.org/Literatur/M/Kafka,+Franz/Romane/Das+Schlo%C3%9F/Das+zehnte+Kapitel [Entspricht: Franz Kafka: Das Schloß. In: Franz Kafka: Gesammelte Werke. Herausgegeben von Max Brod, Band 1–9, Frankfurt a.M., GW Bd. 2, S. 173-177]

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