„Anatomy Of A Drum Solo“

Schlagzeug-Trommel

► Anfang des Jahres starb Neil Peart, Drummer und Texter der kanadischen Band Rush. In beiden Sparten gehörte er zu den Größten und erreichte Legendenstatus. Als Andenken im Folgenden ein Review zu seiner lehrreichen Doppel-DVD „Anatomy Of A Drum Solo“, das ich 2006 für ein Online-Musikmagazin schrieb. ◄

Review: Neil Peart – Anatomy Of A Drum Solo  

Sie sind langweilig, nervig, öde und unterbrechen immer den Konzertverlauf: Instrumental-Soli, wenn Musiker der Verlockung erliegen und grinsend der Selbstdarstellung frönen, um vom leicht angesäuerten Publikum am Ende einen spärlichen Höflichkeitsapplaus zu bekommen. Doch Ausnahmen bestätigen die Regel: Ausnahme-Erscheinung Neil Peart zum Beispiel, Trommler und Texter des kanadischen Prog-Rock-Trios Rush. Peart hat nicht nur Rockgeschichte geschrieben, sondern auch das ein oder andere Buch. So begnadet wie er die Feder führt, so virtuos wirbelt er bekanntlich auch seine Drum-Sticks.

Mit „Anatomy Of A Drum Solo“ legt er eine Doppel-DVD vor, die Rush-Fans ebenso begeistern dürfte wie eingefleischte Trommler oder solche, die es werden wollen. Letztere dürften Peart nach seinen Lektionen alsbald als Idol verehren, ersteren droht der Absturz in tiefe Selbstzweifel. Warum – was gibt’s zu sehen? Rush-Kenner wissen, dass Pearts Drum-Soli während seiner Gigs immer einen Höhepunkt der Show darstellen. „Anatomy Of A Drum Solo“ nimmt eines dieser Soli – aufgezeichnet während der letzten Rush-Tournee 2004 in Frankfurt als Ausgangspunkt. Peart erläutert die etwa 9-minütige Performance detailliert, gewährt Einblicke in Inspiration und Kalkül hinter jedem Part des Solos und demonstriert die notwendigen Techniken. Spannend nicht nur für Freaks, bekommt man doch von Peart Hintergründe, welche Stile beziehungsweise Sounds er geschickt kombiniert: Das beginnt beim Herzschlag und endet in African-, Tribal- oder Jazz-Rhythmen. Das alles entschlüsselt der eloquente Mann und verflicht es mit interessanten und biographischen Anekdoten.

Exklusive Einblicke

Dazu gesellen sich auf den beiden Silberlingen, die sich in einer schmucken Verpackung präsentieren, zwei „Erforschungen“ improvisierter Trommel-Workouts. Jede dieser artistischen „Aufwärmübungen“ ist über 30 Minuten lang. Außerdem kann man Pearts Fertigkeiten bei mehreren Drum-Soli bewundern, gespielt bei verschiedenen Rush-Gigs: in Hamburg vor zwei Jahren, bei der „Counterparts“-Tour 1994, und Soli, die mancher von Rushs „Rio in Rio“-DVD kennen dürfte beziehungsweise von „A show of hands“. Besonderes Schmankerl, speziell für die Rush-Fraktion, sind die Performances von „Tom Sawyer“ und „Subdivisions“ aus der Perspektive der Trommelkameras (Frankfurt 2004). Hochinteressant, denn die Drum-Perspektive verändert die Wahrnehmung der Songs mit ihren Rhythmikfinessen doch erheblich. Abgesehen davon bieten die DVDs sehenswerte Interviews mit Paul Northfield, Co-Producer, und Lorne Wheaton, Pearts Drumtechniker, sowie viele weitere Features (Fotogalerie, Perspektivenanwahl u.a.).

FAZIT
Auch wenn man für die Doppel-DVD etwas tiefer in den Geldbeutel greifen muss, man bekommt sowohl als Rush- und Peart-Anhänger als auch als ambitionierter Drummer doch einiges geboten: eine gelungene Mischung aus Unterhaltung, Analyse und Lehrstunde, die mir einmal mehr vor Augen und Ohren führte, warum Peart – insbesondere mit seinem Kollegen Lee und Lifeson – zu den ganz Großen zählen. Perfektion eben – hat man anderes von Peart erwartet? Er ist und bleibt das Schweizer Uhrwerk unter den Drummern.


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