Die Enden der Welt

Buchtitel Willemsen

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„Die Enden der Welt“ – ein beziehungsreicher Titel, den der viel zu früh verstorbene Roger Willemsen (1955-2016) für sein vor rund zehn Jahren erschienenes (Audio-)buch gewählt hat. Mit der aktuellen Corona-Krise hat das „Weltende“ also nichts zu tun. Aber für ruhige (Shutdown-)Stunden ist das Werk ein buchstäblich sinnvoller Gefährte, charmant, tiefsinnig, rührend, anregend und voller Humor.

Das Ende als Neubeginn

Der Titel darf geografisch verstanden werden, aber auch seelisch, als ein Grenzphänomen der (Seelen)landschaft. Mit Erlebnishunger bereist Willemsen die Erdteile der Welt, mit Empfindungsfülle erlebt er sie – und mit endlosem Mitteilungseifer lässt er uns Hörer Teil haben. Er entführt uns zum Kap von Südafrika, nach Patagonien, zum Himalaja, zu den Südseeinseln von Tonga und zum Nordpol. Immer aber geht es in den Reisebildern auch um ein Enden in anderem Sinn: um ein Ende der Liebe und des Begehrens, der Illusionen, der Ordnung und Verständigung. Um das Ende des Lebens – und um den Neubeginn.

Verbale Rasanz

Das Erzähltempo bewegt sich dabei auf ICE-Niveau, was uns als Leser und Hörer mitunter zerebrale Höchstleistungen abfordert, um Schritt zu halten. Aber es gibt auch Haltestellen, Ruhepunkte, an denen es leise und still wird, vor allem wenn Willemsen am Ende der Welt dem Tod und tragischen Schicksalen begegnet. Diese Phasen des Atemholens sind bei der berauschenden verbalen Rasanz auch dringend nötig, denn Willemsens Stil ist hoch intellektuell, assoziativ und reich an Vergleichen – ein Gedankenfluss, der manchmal fast ausufert und das Fassungsvermögen selbst trainierter Hirne mit seiner schier endlosen Fülle überschwemmt. Bisweilen wirkt dies manieristisch-gewollt und mit philosophischem Rokoko überladen. Bisweilen auch hat man den Eindruck, dass manche Schilderung hätte wegfallen dürfen, um den wirklich spannenden Erlebnissen und anregenden Gedanken etwas mehr Ausgestaltungsraum zu gönnen. Denn diese gibt es ohne Zweifel – und zwar auch in Fülle.

FAZIT
Willemsen macht es dem Leser, insbesondere dem Zuhörer, nicht leicht. Auf einer Buchseite – beim Hörbuch in drei Minuten – passiert so viel wie bei anderen Autoren in ganzen Büchern. Die Reise zu den „Enden der Welt“ ist eine schwierige. Eines aber sind „Die Enden der Welt“ sicherlich nicht: langweilig. Lesen/ hören lohnenswert!


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